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ADHS bei Erwachsenen

von DoctorBox |
begutachtet von Dr. Juliane Bitsch |
Ein älterer Schriftsteller sitzt an einem unordentlichen Arbeitsplatz. Das Bild illustriert das Thema ADHS bei Erwachsenen.
ICD-Code: F90.9

Lange Zeit galt ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) als eine Kindererkrankung. Seit einigen Jahren weiß man jedoch, dass diese Einschätzung falsch ist. ADHS ist eine Störung, die sich auch noch bei Erwachsenen zeigen kann, allerdings mit einer etwas veränderten Symptomatik. Während sich bei Kindern beispielsweise ein stark ausgeprägter Bewegungsdrang beobachten lässt, zeigen Erwachsene eher eine innere Unruhe sowie ein desorganisiertes und impulsives Verhalten.
Lesen Sie hier, wie Sie ADHS im Erwachsenenalter erkennen können und durch welche Behandlungsmaßnahmen sich die Symptome lindern lassen.  

Das passiert bei ADHS bei Erwachsenen 

Das Kürzel ADHS steht für „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung“, eine Erkrankung, die sich durch drei wesentliche Kernsymptome auszeichnet: Impulsivität, Konzentrationsprobleme und Hyperaktivität. Rund 3-7 % der Kinder in Deutschland entwickeln ADHS-Symptome. 
Früher vertraten Wissenschaftler die Meinung, dass ADHS eine Entwicklungsstörung ist, die sich hauptsächlich auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt und mit dem Übergang ins Erwachsenenalter wieder verschwindet. Mittlerweile steht jedoch fest, dass mindestens die Hälfte der ADHS-Betroffenen auch im Erwachsenenalter noch einen Teil der Symptome aufweist. 

Das ADHS-Beschwerdebild ist nicht in jeder Lebensaltersstufe gleich, vielmehr verändert es sich im Laufe des Lebens. So ist die motorische Hyperaktivität bei erwachsenen Menschen in den meisten Fällen nicht mehr so stark ausgeprägt wie bei Kindern. Aus diesem Grund ist häufig nicht mehr von ADHS die Rede, sondern lediglich von ADS, der Aufmerksamkeitsdefizitstörung. 

Im Erwachsenenalter rücken ADHS- und ADS-Symptome wie innere Unruhe, Schusseligkeit und Vergesslichkeit in den Fokus. Unüberlegte Handlungsweisen und ein impulsives Verhalten lassen sich aber noch beobachten.
In viel zu seltenen Fällen werden solche Symptome in einen eindeutigen Zusammenhang mit einer ADHS-Erkrankung gebracht. Dadurch, dass die Betroffenen solche Verhaltensweisen schon seit langer Zeit zeigen, werden sie oftmals als fester Persönlichkeitsbestandteil wahrgenommen. 

ADHS bei Kindern und bei Erwachsenen – wo ist der Unterschied? 

Kinder mit ADHS leben ihre Hyperaktivität meistens aus, indem sie sich mehr bewegen. Der Bewegungsdrang nimmt aber mit fortschreitendem Lebensalter meist ab. Auch wenn bei vielen Erwachsenen die äußerlich sichtbare Unruhe nachgelassen hat, so bleibt die innere Unruhe und Nervosität dennoch bestehen. 

Im ICD-10, dem internationalen Krankheitsverzeichnis, findet sich ADHS im Kapitel „Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend“ unter der Nummer F90.9. 

Symptome  

Die Symptome einer ADHS beginnen im Kindesalter, in seltenen Fällen auch erst mit der Pubertät. Hält die Erkrankung bis ins Erwachsenenalter an, äußert sie sich  durch folgende Kernsymptome:   

Innere Unruhe und Hyperaktivität 

Bei Kindern – insbesondere bei Jungen – lässt sich ein auffälliger Bewegungsdrang beobachten. Weil die Kleinen partout nicht stillsitzen können, ist umgangssprachlich vom „Zappelphilipp“ die Rede. Dieses Symptom verändert sich aber im Verlauf der ADHS-Erkrankung und entwickelt sich bei den meisten von einem typischen Zappeln hin zu einer inneren Unruhe. Manche bleiben jedoch auch als Erwachsene körperlich unruhig. 

Viele Erwachsene mit ADHS versuchen, Situationen, die mit Langeweile oder langem Stillsitzen verbunden sind, zu vermeiden: Hierzu gehören etwa lange Flugreisen oder Besprechungen. Sie laufen auch häufig umher in Situationen, in denen dieses Verhalten als unpassend angesehen wird. Allgemein wirken die Betroffenen häufig wie „getrieben“ und „auf dem Sprung“. Darüber hinaus sprechen Erwachsene mit ADHS übermäßig viel. 
Die innere Unruhe äußert sich jedoch auch durch nervöses Wippen mit dem Fuß oder durch das Trommeln mit den Fingern auf die Tischplatte.  

Konzentrationsschwierigkeiten und Unaufmerksamkeit  

Konzentrationsschwierigkeiten sind ein Hauptmerkmal, dass sich konstant bei ADHS vom Kindes- ins Erwachsenenalter zieht. Es steht also im Vordergrund der Symptomatik und die Betroffenen bleiben auch als Erwachsene leicht ablenkbar. 

Erwachsene mit ADHS lassen oftmals Einzelheiten außer Acht und machen daher bei der Arbeit sowie bei sonstigen Tätigkeiten viele Flüchtigkeitsfehler. Sie haben zudem oft Schwierigkeiten damit, längere Zeit aufmerksam an Aufgaben dranzubleiben. In nicht seltenen Fällen müssen sie auch Abschnitte in Zeitschriften und Büchern mehrfach lesen, um den Inhalt überhaupt erst zu erfassen. 
Sie scheinen anderen Mitmenschen nicht wirklich zuzuhören, wenn diese sprechen und führen oftmals auch Anweisungen nicht vollständig durch. 

Dienstliche Aufgaben am Arbeitsplatz werden ebenfalls häufig nicht zu Ende gebracht und insgesamt fällt es den Betroffenen schwer, ihre Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren sowie zu strukturieren. Erwachsene mit ADHS beschäftigen sich nur widerwillig mit Aufgaben, die eine längere kognitive Anstrengung erfordern. Sie verlieren oder verlegen auch häufig Gegenstände, die sie für die Erledigung der Aufgaben benötigen, so etwa Bücher, Stifte, Laptop oder Werkzeug. 

Die betroffenen Personen sind aber nicht nur unaufmerksam, sondern durch äußere Reize auch schnell ablenkbar.   

Impulsivität 

Erwachsene, die an ADHS leiden, handeln häufig impulsiv und treffen spontan aus dem Bauch heraus irgendwelche Entscheidungen. 
Auf Kritik reagieren sie äußerst sensibel und sind auch schnell gekränkt, während sie sich selbst aber nicht davor scheuen, anderen Personen die Meinung direkt ins Gesicht zu sagen. Für andere Mitmenschen kann genau dieses Verhalten sehr anstrengend sein. Hier kann es hilfreich sein, sich immer wieder klarzumachen, dass erwachsene Menschen mit ADHS-Probleme bei der Verhaltens- und Emotionsregulierung haben. In den meisten Fällen merken die Betroffenen auch selbst, dass sie sich nicht richtig verhalten haben.  

Die Impulsivität von ADHS-Erkrankten zeigt sich in manchen Fällen auch im Straßenverkehr und das kann gefährliche Folgen nach sich ziehen – vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die Impulsivität zusammen mit einer verringerten Konzentrationsfähigkeit auftritt. 

Auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation zeigt sich oftmals die Impulsivität der Betroffenen: So platzen sie häufig mit Antworten heraus, noch bevor die Frage zu Ende formuliert wurde. Sie warten mit dem Sprechen auch nicht, bis sie an der Reihe sind, sondern unterbrechen und stören häufig ihre Mitmenschen. 

Affektlabilität 

Die Betroffenen leiden unter einer wechselhaften Gemütslage und Stimmungsschwankungen. Sie berichten oft, dass die Stimmung wechselt, zwischen niedergeschlagen und normal, teilweise auch euphorisch. Die Stimmung kann dabei innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen umschlagen, oft aufgrund geringfügiger Anlässe.  

Geringe Frust- und Stressintoleranz 

Erwachsene mit ADHS sind nicht wirklich in der Lage, ihre Impulse zu steuern und vor allem in Kombination mit der Emotion Stress hat das sehr negative Auswirkungen. Vor allem neue Aufgaben und Situationen sind für die Betroffenen eine sehr große Herausforderung, denn sie erzeugen Stress und können aufgrund der mangelnden Organisationsfähigkeit nur sehr schwer bewältigt werden. 

Wenn die Dinge dann nicht wie erwartet laufen, macht sich ein großer Frust breit. Die Betroffenen sind jähzornig und gereizt. Bereits geringe Anlässe provozieren bei ihnen Wutausbrüche – und auch wenn diese im Allgemeinen schnell wieder abklingen, können sie trotzdem die Beziehung zu Familie, Partner, Freunde und Kollegen massiv belasten.  

Unorganisiertes Verhalten 

Struktur in den Lebens- und Berufsalltag zu bringen, ist für die meisten Erwachsenen mit ADHS eine enorme Herausforderung. Sie beginnen oftmals mehrere Aufgaben parallel, finalisieren jedoch nichts. Zudem gelingt es ihnen nicht, vereinbarte Fristen, Termine und Verabredungen gewissenhaft einzuhalten.  

Differenzierung der ADHS-Typen anhand der Kernsymptomatik 

Nicht alle genannten Symptome treten bei allen ADHS-Betroffenen in gleicher Ausprägung auf. Dementsprechend lassen sich vor allem drei Untertypen differenzieren:   

1. Kombinierter Typ:

Hier weisen die Betroffenen die Kernsymptome „Hyperaktivität, Impulsivität und Konzentrationsprobleme“ in recht gleichmäßiger Ausprägung auf.  

2. Vorwiegend unaufmerksamer Typ:

Hier dominieren Symptome wie Unaufmerksamkeit und Desorganisation. Symptome wie Impulsivität, Affektlabilität und Hyperaktivität sind nur schwach ausgeprägt oder sogar überhaupt nicht vorhanden.  

3. Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ:

Hier dominieren die Symptome innere Unruhe und Impulsivität. Die Unaufmerksamkeit im Alltag bereitet hingegen kaum Probleme. 

Gibt es auch positive Aspekte einer ADHS-Erkrankung?  

Dass erwachsene Menschen, die unter ADHS leiden, sehr offen gegenüber Außenreizen sind, kann sie auch emotional empfänglicher machen, auch  für positive Gefühle. 
Begeisterungsfähigkeit kann Menschen generell offener, kreativer und spielerischer an Dinge und Aufgaben herangehen – und verbunden mit Spontaneität auch originelle Ideen hervorbringen lassen. Wenn es erwachsenen ADHS-Erkrankten also gelingt, ihren Ideenreichtum sinnvoll zu nutzen und zu kanalisieren, können sie mitunter auch im Leben ausgesprochen erfolgreich sein.  

Natürlich aber ist das Vorhandensein einer ADHS keine Voraussetzung für Kreativität. Und es darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um eine ernsthafte Erkrankung handelt, die Betroffene im Alltag, in ihren Beziehungen und im Berufsleben sehr einschränken kann. Die genannten positiven Eigenschaften können aber ein Ansatzpunkt in einer Therapie der Störung sein. 

Häufige Begleiterkrankungen ADHS-Betroffener 

Häufig lassen sich bei Erwachsenen mit ADHS noch weitere Erkrankungen oder Störungen feststellen:   

  • Psychische Krankheiten wie Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen oder Tourettesyndrom. 

  • Rechenschwäche (Dyskalkulie)  

  • Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) 

  • Schlafstörungen  

  • Suchterkrankungen (Nikotin-, Ess-, Kauf-, Spiel- oder Alkoholsucht). 

  • Dissoziales Verhalten  

  • Hohe Unfallrate aufgrund von impulsivem, unüberlegtem Handeln. 

Ursachen und Risikofaktoren 

Die konkreten Ursachen, die zu einer ADHS-Erkrankung führen, sind bislang noch nicht abschließend geklärt. Es gilt jedoch als erwiesen, dass umweltbedingte und erblich bedingte Faktoren eine zentrale Rolle spielen!  

Erbliche Veranlagung  

Wenn es um ADHS geht, dann lässt sich diese Störung gehäuft innerhalb einer Familie beobachten. Hat ein Mitglied der Kernfamilie eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, so ist die Erkrankungsgefahr für andere Familienmitglieder um ca. das Fünffache erhöht. 
Viele Eltern bekommen oftmals erst dann eine Antwort auf zahlreiche eigene Probleme, wenn ihr Kind Auffälligkeiten in der Schule zeigt. Wissenschaftler konnten feststellen, dass bei ADHS verschiedene neuronale Systeme, insbesondere bestimmte Neurotransmitter (Botenstoffe) negativ beeinflusst werden. Wenn das Gleichgewicht und die Funktion dieser Botenstoffe gestört sind, kann das weitreichende Auswirkungen haben, so zum Beispiel auf die Wahrnehmung, die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis, aber auch auf die Emotions- und Impulskontrolle. Das zieht eine deutliche Beeinträchtigung der Selbstorganisation nach sich und eine mangelnde Handlungskontrolle der Betroffenen.  

Außeneinflüsse  

Zu diesen Außenfaktoren gehören zum Beispiel Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Ein zu geringes Geburtsgewicht, Nikotin- und Alkoholsüchte der Mutter, Erkrankungen des zentralen Nervensystems, Infektionen oder verschiedene Toxine können Risikofaktoren sein. Inwieweit Erziehungsfehler oder eine Vernachlässigung in der frühen Kindheit zur Entstehung einer ADHS beitragen können, ist bis heute unklar. Der Verlauf einer bestehenden Erkrankung kann aber durch das familiäre Umfeld beeinflusst werden.  

Therapie  

Die konkrete Therapie richtet sich im Erwachsenenalter nach der individuellen Lebenssituation und der vorhandenen Symptomatik bzw. den Beschwerden der betroffenen Person.  
Gemeinsam mit der Ärztin/dem Arzt oder dem Psychotherapeuten wird das weitere Vorgehen besprochen. Sind die Beschwerden intensiver ausgeprägt, können psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen oder Medikamente sehr zielführend sein. 
Erwachsene Menschen suchen sich oftmals auch selbst verschiede Bewältigungsmethoden, um mit der ADHS-Erkrankung im Alltag umzugehen, so etwa Entspannungstechniken oder sportliche Aktivitäten. Auch die Unterstützung anderer Betroffener, zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe, kann sehr wertvoll sein.  

Bei ADHS können bei schwer ausgeprägten Symptomen auch bestimmte Medikamente zum Einsatz kommen. Welche Wirkstoffe im Einzelfall die richtige Wahl sind, muss immer mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt besprochen werden.  

Wie kann eine psychotherapeutische Behandlung helfen? 

Eine Psychotherapie kann in Einzel- oder in Gruppentherapie durchgeführt werden. Dabei geht es vor allem um die Verarbeitung der ADHS-Diagnose, die im Erwachsenenalter gestellt wurde. Im Fokus steht zudem die Bewältigung psychosozialer Probleme wie etwa Beziehungsangelegenheiten, der Ausbau des Selbstvertrauens, die Strukturierung des Alltags und ein effektives Stressmanagement. 
Im Rahmen einer Psychotherapie werden auch möglicherweise vorliegende psychische Erkrankungen behandelt, so etwa eine Depression, eine Zwangs- oder eine Angststörung. 

Der sogenannten Psychoedukation kommt dabei eine besonders wichtige Bedeutung zu. Auch wissenschaftlich fundierte Techniken für mehr Achtsamkeit werden oftmals eingesetzt.   

Das können Sie selbst tun 

Folgende Alltagsstrategien können für Menschen mit einer ADHS-Erkrankung sehr hilfreich sein:  

  • Gute Tagesplanung: Den Alltag gut strukturieren, To-do-Listen erstellen, ausreichend Pausen einplanen. 

  • Erinnerungshilfen nutzen, zum Beispiel Einkaufslisten, Termin-Reminder am Smartphone. 

  • Aufgaben in kleine Teilaufgaben unterteilen und diese schrittweise erledigen. 

  • Routinen festlegen, so etwa Gegenstände immer am selben Ort deponieren, Morgenroutine, Tag mit einer Abendroutine beenden, so etwa mit einer kleinen Meditation oder Achtsamkeitsübung. 

Für jeden Menschen kann es unterschiedliche Methoden und Techniken geben, die sich für seinen Lebensalltag bewähren. Mit der Zeit wird man genau herausfinden können, was einem selbst guttut und was eher nicht. Die Unterstützung aus dem Familien– und Freundeskreis ist dabei sehr wichtig und die Betroffenen sollten sich auch auf keinen Fall scheuen, professionellen Rat und Unterstützung in Anspruch zu nehmen.