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Hämophilie (Bluterkrankheit)

von DoctorBox |
begutachtet von Univ. Prof. Dr. med. univ. Katharina Schallmoser, MSc. |
Das aufgeschlagene Knie eines jungen Mädchens mit Hämophilie (Bluterkrankheit) blutet. Eine Person neben dem Mädchen hält Watte zum Tupfen in der Hand.
ICD-Code: D66

Hämophilie ist den meisten Menschen unter der Bezeichnung „Bluterkrankheit“ bekannt. Diese führt bei Betroffenen zu einer verzögerten Blutgerinnung sowie beeinträchtigten Wundheilung. Bei sonst harmlosen Verletzungen, z. B. als Folge eines Sturzes, kann es zu schweren inneren Blutungen kommen. 
Lesen Sie hier mehr über die Erkrankungsformen der Hämophilie, die konkreten Ursachen, Symptome und die Therapiemöglichkeiten.  

Das passiert bei der Hämophilie 

Bei der Hämophilie, im Volksmund auch „Bluterkrankheit“ genannt, ist die Blutgerinnung gestört. Das Blut erfüllt wichtige Aufgaben im Körper, indem es die Zellen über den Blutkreislauf mit lebensnotwendigen Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Im Durchschnitt hat ein Mensch ungefähr 70 - 80 ml Blut pro Kilogramm Körpergewicht.
Das Blut besteht aus dem flüssigen Anteil (Plasma) und zellulären Bestandteilen wie roten Blutzellen (Erythrozyten), weißen Blutzellen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten). Plasma enthält neben Gerinnungsfaktoren Hormone und andere Botenstoffe, sowie Nährstoffe wie Proteine, Blutfette, Zucker und Salze zur Versorgung aller Gewebe und Organe. 

Wie funktioniert die Blutgerinnung? 

Blut erfüllt eine zentrale Funktion, damit Wunden nach einer Verletzung wieder verschlossen werden: Es gerinnt an der Blutungsstelle. Somit kann kein weiteres Blut aus der Wunde austreten, und die Heilung kann beginnen. 
Am Prozess der Blutgerinnung sind die Blutplättchen (Thrombozyten) sowie bestimmte Proteine, sogenannte Gerinnungsfaktoren, beteiligt. Diese wurden mit römischen Zahlen von I bis XIII nummeriert und finden sich im menschlichen Blut immer in einer inaktiven Form.
Bei einem gesunden Menschen läuft die Blutgerinnung folgendermaßen ab:  

  • Im Wundbereich ziehen sich die verletzten Blutgefäße zusammen, dies vermindert lokal den Blutfluss. 

  • Die Thrombozyten lagern sich an den Defekt an, werden aktiviert und bedecken die verletzte Stelle mit einem sogenannten Thrombozyten-Pfropf. 

  • Die Gerinnungsfaktoren setzen eine Kettenreaktion oder „Gerinnungskaskade“ in Gang. Nacheinander werden nun alle Faktoren aktiviert, ähnlich wie bei einem Dominospiel, bei dem ein Stein den nächsten umstößt: Der erste Gerinnungsfaktor wird durch die Wunde selbst aktiviert, dieser aktiviert daraufhin den zweiten usw. . Zusätzlich erfolgt die Aktivierung von Gerinnungsfaktoren an der Oberfläche der aktivierten Thrombozyten. 
    Dadurch entsteht ein stabiles Fibrinfasernetz, das mit dem Thrombozyten-Pfropf für die Blutstillung und den Wundverschluss sorgt. 

Blutgerinnungsfaktoren sind unverzichtbar wichtige Bestandteile für die Blutgerinnung und somit für den Wundverschluss. 

Blutgerinnung bei Hämophilie-Betroffenen 

Bei Hämophilie-Erkrankten, umgangssprachlich auch als „Bluter“ bezeichnet, fehlen einzelne Gerinnungsfaktoren, sodass kein stabiles Fibrinfasernetz gebildet wird. Nach vorläufiger Blutstillung können Verletzungen ein bis zwei Stunden später erneut zu bluten beginnen.
Die medizinische Fachbezeichnung für diese Gerinnungsstörungen ist „Koagulopathie“, wobei die Betroffenen nicht schneller bluten, sondern es dauert länger, bis das Blut vollständig geronnen und die Wunde fest verschlossen ist.
Im ICD-10, dem internationalen Krankheitsverzeichnis, findet sich die Hämophilie im Kapitel „Koagulopathien, Purpura und sonstige hämorrhagische Diathesen“ unter den Nummern D66-D68. 

Die verschiedenen Formen der Hämophilie 

Abhängig vom betroffenen Gerinnungsfaktor werden mehrere Hämophilie-Formen unterschieden. Die wichtigsten sind:  

  • Hämophilie A 
    Hier ist der Gerinnungsfaktor VIII betroffen (Faktor-VIII-Mangel): Entweder wird dieser Gerinnungsfaktor vom Körper nicht ausreichend gebildet, oder er ist defekt. Ungefähr 85 % aller Hämophilie-Erkrankten leiden unter dieser Form der Bluterkrankheit. Aufgrund der Vererbungsart sind die Betroffenen in den meisten Fällen männlich.  

  • Hämophilie B 
    Bei dieser Form der Bluterkrankheit fehlt der Gerinnungsfaktor IX (Faktor-IX-Mangel). Auch unter dieser Form der Bluterkrankheit leiden vor allem Männer. 

Zusätzlich gibt noch weitere vererbbare Gerinnungsstörungen, wie das sogenannte Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, kurz vWS, das durch einen Mangel oder ein Fehlen des sogenannte Von-Willebrand-Faktors (vWF) gekennzeichnet ist. Das Protein vWF vermittelt die Anlagerung der Thrombozyten (Blutplättchen) an die geschädigte Blutgefäßwand. Zusätzlich bindet vWF an den Gerinnungsfaktor VIII und verzögert so dessen Abbau im Plasma. Ein vWF-Mangel führt daher zu einer verlangsamten Gerinnung (der Körper kann die Wunde nicht schnell verschließen) und zu einer gesteigerten Blutungsneigung.
Während ca. 1 % der Bevölkerung hiervon betroffen sind, ist die Blutungsneigung unterschiedlich stark ausgeprägt. Die meisten Betroffenen weisen jedoch kaum Symptome auf, was zur Folge hat, dass das vWS lange unerkannt bleibt, die schwerste Verlaufsform tritt nur äußerst selten auf.   

Symptome  

Die Symptome einer Hämophilie sind vom Schweregrad des Gerinnungsdefekts abhängig. Dabei wird zwischen leichten, mittelschweren und schweren Formen unterschieden. Die normale Gerinnungsfaktoraktivität wird mit 100 % angegeben, jedoch kann dieser Wert auch bei Gesunden leicht variieren.   

  • Bei milder Hämophilie-Verlaufsform und sog. Subhämophilie zeigen die Betroffenen eine Restaktivität des betroffenen Gerinnungsfaktors von ca. 6 - 15 % bzw. 16 – 50 %.  
    Diese Form fällt im Alltag kaum auf und wird meist erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.  Nur bei sehr großflächigen bzw. tiefen Verletzungen oder operativen Eingriffen kann es zu verstärkten Blutungen kommen.  

  • Bei einer mittelschweren Hämophilie zeigen sich ca. 2 - 5 % Faktorrestaktivität. 

  • Bei der schweren Hämophilie-Form fehlt der betroffene Gerinnungsfaktor komplett oder funktioniert kaum (0 – 1 %). Hier kann es auch nach leichten Verletzungen schnell zu Blutungen kommen. In manchen Fällen werden auch Spontanblutungen ohne ersichtliche Ursache beobachtet. Dank der heute verfügbaren Dauerprophylaxe zeigen auch mittelschwere und schwere Formen der Hämophilie meist einen milden Verlauf. 

Obwohl bei der Hämophilie A und Hämophilie B unterschiedliche Gerinnungsfaktoren betroffen sind, können sich dieselben typischen Symptome zeigen:

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  • vermehrtes Auftreten von blauen Flecken (Hämatomen), insbesondere an den Armen und den Beinen, aber auch am Rumpf 

  • Einblutungen in Gelenke, oft mit starken Schmerzen verbunden. In den meisten Fällen sind Ellbogen-, Knie- und Sprunggelenke betroffen 

  • Einblutungen in das Fettgewebe 

  • Einblutungen in die Muskulatur 

  • in manchen Fällen blutiger Urin 

  • stärkere Nachblutungen beim Zahnwechsel 

  • Einblutungen in innere Organe oder Zentralnervensystem, es besteht Lebensgefahr! 


Typische Symptome bei einem Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom sind:  

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  • Zahnfleischbluten  

  • Nasenbluten 

  • verlängerte Nachblutungen nach Operationen wie etwa einer Zahnextraktion 

  • bei Frauen übermäßig lange oder intensive Monatsblutungen  

Verlauf  

Eltern bemerken die Krankheit meistens innerhalb des ersten Lebensjahres ihres Kindes. Wenn das Kind zunehmend aktiver wird, kommt es öfters zu Bagatellverletzungen, die ungewöhnlich stark bluten, was auf die Blutgerinnungsstörung hinweist. 
Hämophilie ist nicht heilbar, jedoch nimmt die Blutungsneigung auch nicht mit zunehmendem Lebensalter zu. Bei frühzeitiger Diagnose und adäquater Therapie können Betroffene ein annähernd normales Leben führen. Auch die Lebenserwartung ist dann von der Krankheit nicht betroffen.
Kommt es infolge von Einblutungen zu Schäden in den Gelenken, kann Krankengymnastik sehr hilfreich sein. Auf diese Weise können Bewegungseinschränkungen vermieden werden. 

Ursachen und Risikofaktoren 

Hämophilie ist eine angeborene, meist vererbte, Erkrankung des Blutgerinnungssystems. Eine spontane Genveränderung (Spontanmutation) tritt nur sehr selten auf. Von der Hämophilie betroffen sind fast ausschließlich männliche Personen. Um dies zu verstehen, muss ein Blick in die Genetik geworfen werden.  

Vererbung der Blutgerinnungsstörung 

Die Informationen für alle Strukturen und Stoffwechselprozesse des Organismus sind als Gene in den Chromosomen im Zellkern gespeichert. Jede menschliche Zelle besitzt 46 Chromosomen. Wird ein Baby gezeugt, bekommt es je 23 Chromosomen von der Mutter sowie vom Vater. Die 44 paarweise vorkommenden Chromosomen werden in der Medizin als Autosomen bezeichnet. Die beiden verbleibenden sogenannten Geschlechtschromosomen entscheiden darüber, ob das Baby ein Mädchen oder ein Junge wird. Mädchen haben zwei X-Chromosomen (XX); Jungen haben ein X- sowie ein Y-Chromosom (XY). 

Die Erbinformation für die Bildung der Gerinnungsfaktoren liegt auf dem X-Chromosom, Hämophilie wird daher sogenannt X-chromosomal vererbt. 
Hat eine Frau ein mutiertes X-Chromosom, kann das zweite gesunde X-Chromosom den Defekt ausgleichen, und sie ist lebenslang weitestgehend symptomfrei.
Die Frau kann aber den Gendefekt an ihren Nachwuchs weitergeben: Sie ist Überträgerin, sogenannte Konduktorin: 

  • Wenn eine Frau ein mutiertes und ein gesundes X-Chromosom in sich trägt, gibt sie eines davon an ihr Kind weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das mutierte Exemplar weitervererbt, liegt also bei 50 %.  

  • Bekommt die besagte Frau eine Tochter, ist diese meistens nicht von der Hämophilie betroffen, denn sie besitzt noch ein zweites intaktes X-Chromosom. Die Tochter wird aber ihrerseits zur Konduktorin. 

  • Bekommt die Frau jedoch einen Sohn, an den sie das mutierte X-Chromosom vererbt, prägt sich die Hämophilie aus, da kein zweites gesundes X-Chromosom verfügbar ist. 

Das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom” kann angeboren, sein oder bei anderen Erkrankungen wie z.B. Autoimmunerkrankungen, manchen Herzfehlern oder bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems auftreten. Im Gegensatz zur Hämophilie A und B betrifft die Vererbung dieser Gerinnungsstörung beide Geschlechter in gleichem Maße. 

Therapie der Hämophilie 

Da Betroffene eine erhöhte Blutungsneigung haben, müssen sie sich im Alltag bestmöglich vor Verletzungen und blutenden Wunden schützen. Manche Medikamente erhöhen die Blutungsneigung durch Hemmung der Thrombozyten, so etwa Acetylsalicylsäure. Diese müssen Hämophilie-Erkrankte unbedingt meiden! 

Medikamentöse Behandlung der Hämophilie 

Bei milden Formen der Hämophilie A kann vor Operationen Desmopressin zum Einsatz kommen. Dieser Wirkstoff setzt gebundenen Gerinnungsfaktor VIII und vWF frei, kann jedoch nur kurzzeitig zur Anwendung kommen und ist bei Hämophilie B nicht wirksam.
Bei schweren Fällen werden die fehlenden Gerinnungsfaktoren zur Vorbeugung regelmäßig intravenös injiziert (gespritzt). Der exakte Behandlungsablauf ist individuell unterschiedlich, abhängig von Form und Ausprägungsgrad der Hämophilie sowie dem Lebensalter der Betroffenen.  

Bei dieser Dauertherapie bekommen an Hämophilie A Erkrankte mehrmals wöchentlich den fehlenden Gerinnungsfaktor VIII injiziert. Bei Hämophilie-B ist eine Injektion des Gerinnungsfaktor IX ein bis zwei Mal wöchentlich nötig.
Nach einer entsprechenden Einweisung können sich die Betroffenen die Gerinnungsfaktoren auch selbstständig spritzen.  

Die Gerinnungsfaktorkonzentrate werden aus Plasmaspenden hergestellt oder gentechnisch produziert. In den 70er- und 80er-Jahren wurden unglücklicherweise viele Hämophilie-Erkrankte durch Gerinnungsfaktorkonzentrate aus Plasma mit HIV oder Hepatitis-Viren infiziert. Dank neuer Virusinaktivierungsverfahren sowie moderner Qualitätsstandards sind Gerinnungsfaktoren aus Spenderblut heute mit größtmöglicher Sicherheit virenfrei. 

On-Demand-Therapie 

Hierbei handelt es sich um eine Bedarfsbehandlung. Die Gerinnungsfaktoren werden nur bei Bedarf zu einem bestimmten Zeitpunkt injiziert, so zum Beispiel vor einem anstehenden operativen Eingriff oder bei akuten Blutungen. 

Das können Sie selbst bei Hämophilie tun 

Trotz adäquater Behandlung erfordert das Leben mit Hämophilie Übung und Achtsamkeit im Alltag. So kann es beispielsweise etwas dauern, bis sich die Betroffenen die Medikamente selbstständig verabreichen können. 
Kinder mit Hämophilie sollten frühzeitig lernen, richtig mit ihrer Erkrankung umzugehen und auch im Notfall genau zu wissen, was getan werden muss. Eltern stehen vor der Herausforderung, ihre Kinder einerseits vor blutenden Verletzungen zu schützen, andererseits sollte der Nachwuchs auch nicht in Watte gepackt werden. Es braucht eine ausgewogene Balance, damit die betroffenen Kinder so frei und unbelastet wie möglich aufwachsen können und dennoch gewissenhaft mit ihrer Erkrankung umzugehen wissen.
Menschen mit Hämophilie möchten ein normales Alltagsleben führen und ihre Freizeit wie gesunde Menschen aktiv gestalten. Früher war Hämophilie mit starken Einschränkungen verbunden, dank der heute verfügbaren modernen Therapien hat sich die Lebensqualität der Betroffenen sehr verbessert.
Körperliche Aktivität macht nicht nur Freude, sondern schafft auch einen mentalen Ausgleich, stärkt die Muskulatur, fördert die Beweglichkeit und schult den Gleichgewichtssinn. Daher kann regelmäßiger Sport auch vor Verletzungen mit Blutungen schützen. Sogar Sportarten mit intensivem Körperkontakt, Skifahren, Mountainbiken oder Handwerksberufe sind möglich - immer in Abhängigkeit vom Ausprägungsgrad der Blutungsneigung und der individuellen Therapie.

Wenn Sie unsicher sind, welche Aktivitäten für Sie am besten geeignet sind, holen Sie unbedingt ärztlichen Rat ein! 

An Hämophilie Erkrankte sollten jedenfalls gegen Hepatitis A und B geimpft sein. Allerdings dürfen Schutzimpfungen nicht wie sonst üblich intramuskulär (in den Muskel), sondern nur subkutan, also unter die Haut, injiziert werden.
Die Erkrankten sollten auch immer einen Notfallausweis mitführen, in dem unter anderem die exakte ärztliche Diagnose sowie der Schweregrad der Hämophilie vermerkt sind.