Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der zahlreiche (multiple) chronische Entzündungsherde im zentralen Nervensystem (ZNS) vorliegen und zu lokalen Vernarbungen (Sklerose) führen. Im Zuge der meist schubartig auftretenden Entzündungsreaktionen kommt es zu einer Schädigung der isolierenden Myelinschicht von Nervenfasern. Diese Schädigung bewirkt eine Störung der Reizweiterleitung, die sich in unterschiedlichen neurologischen Symptomen widerspiegelt. Eine Reihe von Faktoren scheinen eine Entgleisung des Immunsystems als Auslöser der Erkrankung zu beeinflussen, aber eine genaue Ursache ist bis heute unklar. Multiple Sklerose ist zwar grundsätzlich nicht heilbar, jedoch kann eine adäquate Therapie den Verlauf verlangsamen und damit die Lebensqualität des Patienten deutlich verbessern. Im ICD-10, dem internationalen Verzeichnis aller Krankheiten, findet sich Multiple Sklerose im Kapitel über Krankheiten des Nervensystems unter der Nummer G 35. Die nachfolgenden Ziffern beschreiben die Verlaufsform (1: vorherrschend schubförmig, 2: primär-chronisch, 3: sekundär-chronisch).
Symptome
Die genauen Symptome einer Multiplen Sklerose hängen davon ab, in welchem Bereich des ZNS Schädigungen vorliegen. Dies kann individuell sehr unterschiedlich sein. Aus diesem Grunde wird Multiple Sklerose auch als „Krankheit der 1000 Gesichter“ bezeichnet. Zu Beginn der Erkrankung können zum Beispiel Gefühlsstörungen der Haut (z. B. Taubheit oder Kribbeln) oder Sehstörungen auftreten. Auch Konzentrationsstörungen oder eine übermäßige Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung wird oftmals als Frühsymptom einer Multiplen Sklerose beschrieben. Ebenso können motorische Beschwerden wie Störungen der Bewegungskoordination oder spastische Lähmungen erste Ausprägungen einer Multiplen Sklerose sein.
Mit Fortschreiten der Erkrankung können auch Störungen der Darm- und Blasenentleerung oder der Potenz beobachtet werden. Nicht selten leiden Patienten unter regelmäßigen Kopf- oder Rückenschmerzen, Schwindel, Sprech- oder Schluckbeschwerden oder depressiven Verstimmungen. Die Symptome treten bei den meisten Betroffenen schubweise auf. Von einem erneuten Krankheitsschub spricht man, wenn die Beschwerden seit mindestens 24 Stunden anhalten. und seit dem Abklingen des letzten Schubs mindestens 30 Tage vergangen sind. Eine Besonderheit ist das sogenannte Uhthoff-Phänomen. Dabei handelt es sich um eine kurzfristige Verschlechterung der Symptome unter dem Einfluss von großer Hitze oder Fieber.
Verlauf
Die ersten Beschwerden treten meist nur vorübergehend und nach körperlicher Belastung auf. Da sie wieder verschwinden und insbesondere die Frühsymptome nicht eindeutig sind, dauert es im Durchschnitt 3 Jahre, bis eine Multiple Sklerose diagnostiziert wird. Die Betroffenen sind dann meist zwischen 20 und 40 Jahre alt. Bei etwa 80 Prozent von ihnen verläuft die Erkrankung von Anfang an in deutlich abgrenzbaren Schüben, wobei in jedem Schub neue Symptome auftreten können. Eine solche akute Krankheitsphase kann Tage bis Monate dauern. Anschließend verbessern sich die Symptome deutlich oder verschwinden sogar ganz. Nur ein geringer Anteil der Betroffenen zeigt von Beginn an ein konstantes Voranschreiten der Symptome ohne zwischenzeitige Besserung. In einem solchen Fall spricht der Mediziner von einem primär chronischen oder primär progredienten Verlauf. Etwa die Hälfte der Patienten mit erkennbaren Krankheitsschüben entwickelt innerhalb von 10 Jahren einen sekundär chronischen oder auch sekundär progredienten Verlauf der Erkrankung. Dabei kommt zu einer steten Verschlechterung der Symptome auch zwischen den Schüben. Wie die Krankheit im Einzelfall verläuft, ist aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren nur schwer vorherzusagen. Durch therapeutische Maßnahmen kommen allerdings etwa 75 Prozent der Erkrankten auch nach vielen Jahren weitestgehend ohne Hilfsmittel aus. Durchschnittlich 20 Prozent der Betroffenen zeigen 10 Jahre nach der Diagnose sogar kaum Einschränkungen.
Ursachen und Risikofaktoren
Bei einer Multiplen Sklerose gerät das körpereigene Immunsystem außer Kontrolle und richtet sich gegen die Nervenfasern des ZNS. Im Zuge der ausgelösten Entzündungsprozesse verlieren die betroffenen Fasern ihre Myelinscheiden. Dabei handelt es sich um eine ringförmig angeordnete Schicht, die die Nervenfaser elektrisch isoliert und die Reizweiterleitung dadurch massiv beschleunigt. Ein Verlust dieser Isolierschicht führt zu Funktionsstörungen, die bei fortschreitender Erkrankung die gesamte Nervenzelle und ihr jeweiliges Netzwerk betreffen. Auch die Zellkörper der Zellen können im weiteren Verlauf Schaden nehmen, wodurch sich die Symptome deutlich verschlechtern.
Die Veranlagung zur Entstehung einer Multiplen Sklerose scheint erblich zu sein, allerdings ist sie kaum auf einen Nenner zu bringen. Bis heute wurden rund 200 Gene entdeckt, die mit der Erkrankung assoziiert sind. Sie alle hängen in unterschiedlicher Weise mit dem Immunsystem zusammen. Die Veranlagung allein genügt aber nicht. Für die tatsächliche Entwicklung der Autoimmunerkrankung bedarf es eine Art Startschuss. Erst dieser initiiert eine Abwehrreaktion gegen körpereigene Proteine. Bis heute konnten zahlreiche Faktoren festgestellt werden, die diesen Startschuss möglicherweise auslösen. Aufgrund der Komplexität sind die genauen Vorgänge allerdings immer noch unverstanden, weshalb in den Entstehungsprozess selbst nicht eingegriffen werden kann.
Als Risikofaktoren, die einen Startschuss darstellen und sich begünstigend auf die Entstehung oder das Fortschreiten einer Multiplen Sklerose auswirken könnten, vermutet man unter anderem:
- eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus
- ein Mangel an Vitamin D (insbesondere in Kindheit und Jugendalter)
- Rauchen
- Salzreiche Ernährung
- Störungen der Darmflora
- Übergewicht
Auch Hormone, insbesondere Östrogen, könnten eine Rolle spielen. Östrogene nehmen Einfluss auf das Immunsystem, was erklären könnte, warum einerseits etwa doppelt so viele Frauen wie Männer an Multipler Sklerose erkranken, andererseits der Krankheitsverlauf bei Männern durchschnittlich schwerwiegender ist.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl die Entstehung als auch der Verlauf einer Multiplen Sklerose von zahlreichen Faktoren abhängt. Hier besteht noch ein hoher Forschungsbedarf, um die Krankheit besser verstehen zu können.
Therapie
Die Therapie der Multiplen Sklerose basiert auf vier Säulen, die jeweils einen unterschiedlichen Aspekt der Erkrankung behandeln. Das oberste Therapieziel aller vier Maßnahmen besteht darin, die Lebensqualität für die Betroffenen langfristig hochzuhalten und die Notwendigkeit von Hilfsmitteln abzuwenden.
1. Schubtherapie
Bei einem akuten Krankheitsschub erfolgt in der Regel eine Behandlung mit hochdosiertem Kortison, das über 3-5 Tage intravenös verabreicht wird. Je nach Situation ist auch eine Medikation über Tabletten möglich. Durch das Kortison soll der Schub insgesamt verkürzt und eine Abschwächung der akuten Symptome gefördert werden. Wenn die Kortisonbehandlung nicht anschlägt und sich sehr schwere Symptome einstellen, besteht die Möglichkeit einer stationär durchgeführten Plasmapherese oder einer Immunadsorption. Dabei handelt es sich Methoden zur Reinigung des Blutes mithilfe von speziellen Filtrationsverfahren. Die Bestandteile aus dem Blut, die für die Entzündungsprozesse verantwortlich sind, werden entfernt, sodass die Symptome rasch abklingen.
2. Verlaufsmodifizierende Therapie
Eine grundlegende Therapie bei Multipler Sklerose soll eine Progression ausbremsen. Durch die Gabe von sogenannten Immuntherapeutika wird das Immunsystem gezielt beeinflusst, damit autoimmune Prozesse weniger Schaden anrichten können. Bei einer schubartigen Verlaufsform kann dadurch die Schubrate reduziert werden. Die Abstände zwischen den Schüben werden also größer. Da es die einzelnen Schübe sind, die die Krankheit immer weiter voranschreiten lassen, wird auch die Verschlechterung der auftretenden Symptome verlangsamt. Bei der seltenen primär chronischen Verlaufsform ist die Wirksamkeit der Immuntherapeutika geringer. Die Auswahl an modulierenden Medikamenten ist groß und wird an den individuellen Krankheitsverlauf angepasst. Im Alter verliert die Behandlung an Effektivität, gleichzeitig erhöhen sich die Risiken und Ausmaße von Nebenwirkungen.
3. Symptomatische Therapie
Bei der symptomatischen Behandlung stehen die individuellen Beschwerden des Einzelnen im Vordergrund. Hier greifen sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Maßnahmen, um die jeweiligen Symptome zu lindern. Insbesondere Physio- und Ergotherapie sind als nicht-medikamentöse Behandlungen wichtige Pfeiler für eine Linderung von Spastiken und den damit verbundenen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Auch die Koordination von Bewegungsabläufen kann durch eine gezielte Therapie deutlich verbessert werden. Eine Psychotherapie kann bei begleitenden Depressionen oder anderen psychischen Belastungen die mentale Gesundheit stärken.
4. Rehabilitation
Bei fortgeschrittener Erkrankung und starker Beeinträchtigung des Patienten können unterschiedliche Rehabilitationsmaßnahmen die Selbstständigkeit und Mobilität verbessern. Hier geht es auch darum, eine soziale Einbindung in Familie und Beruf zu fördern oder Maßnahmen zur Selbsthilfe zu erläutern. Eine ambulante oder stationäre Rehabilitation erfolgt in exakter Abstimmung auf die individuellen Bedürfnisse des Erkrankten. Dabei wird ein Programm aus Physio-, Ergo- und Bewegungstherapie, Schulung und Information oder Vermittlung von Techniken zur Krankheitsbewältigung erarbeitet.
Was Sie selbst tun können
Da einige Risikofaktoren bekannt sind, die eine Verschlechterung der Symptomatik bei Multipler Sklerose begünstigen, ist es ratsam, diese Faktoren zu meiden. Hierzu zählt vor allen Dingen Rauchen und Übergewicht. Experten raten zu einer ausgewogenen Ernährung mit viel frischem Gemüse, Obst und Fisch. Der Konsum von Fleisch, ungesunden Fetten und Salz sollte nach Möglichkeit reduziert werden. Wissenschaftliche Belege für eine Verbesserung der Symptomatik durch eine gesunde Ernährung gibt es allerdings bisher nicht.
Da Vitamin D eine wichtige Rolle spielt, sollte ein ärztlich nachgewiesener Mangel ausgeglichen werden. Um ihn von vornherein zu vermeiden, ist tägliche Bewegung ein Freien hilfreich. Eine zusätzliche Einnahme von Vitamin-D-Präparaten über einen Mangel hinaus kann die Symptome einer Multiplen Sklerose nicht nachweislich verbessern.
https://www.dasgehirn.info/krankheiten/multiple-sklerose/krankheit-der-tausend-gesichter
https://www.dasgehirn.info/krankheiten/multiple-sklerose/viele-ursachen-der-multiplen-sklerose
https://www.dasgehirn.info/krankheiten/multiple-sklerose/immunsystem-ausser-rand-und-band
https://www.netdoktor.de/krankheiten/multiple-sklerose/
Studien:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.abj8222
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26250739/
https://www.nature.com/articles/nature10251
©envatoelements_Luisbaneres